Mit dem Wort Mespelbrunn bezeichnen wir heute dreierlei. Es ist in der Reihenfolge der Entstehung seit 1978 der Name für die Verwaltungsgemeinschaft aus den Gemeinden Dammbach, Heimbuchenthal und Mespelbrunn. Die Gemeinde Mespelbrunn wurde bei der Gebietsreform 1972 aus dem Zusammenschluss der vorher selbständigen Kommunen Hessenthal und Mespelbrunn gebildet. Das Dorf Mespelbrunn hieß bis 1938 Neudorf und nahm dann den Namen des Schlosses Mespelbrunn an. Schloß Mespelbrunn, spätestens seit dem 1956 gedrehten Spielfilm „Das Wirtshaus im Spessart“ in ganz Deutschland bekannt, ist der Inbegriff für romantische Märchenidylle. Diese Namenseinheit heute verstellt ein wenig den Blick auf die Verschiedenheit in der geschichtlichen Entwicklung, denn die Gemeinde und das Schloss hatten früher relativ wenig miteinander zu tun.
Das Wasserschloss Mespelbrunn ist heute teils Museum, teils Wohnsitz der Grafenfamilie von Ingelheim, genannt Echter von und zu Mespelbrunn. Die dreiflügelige Schlossanlage hat einen hufeisenförmigen Grundriss. Bewohnt sind der Süd- und Ostflügel, beim Blick über den See der rechte und hintere Teil. Das Schloss wurde mehrmals umgebaut, beziehungsweise erweitert. Seine heutige Gestalt hat es seit dem 19. Jahrhundert. Den Anfang dazu machte die Bautätigkeit der Familie Peters III. Echter und seiner Frau Gertraud von Adelsheim in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Aus dieser Familie entstammte der wohl berühmteste Spross des Geschlechts, nämlich der Würzburger Fürstbischof Julius Echter, geboren 1545 auf Schloss Mespelbrunn. Der Bergfried des Schlosses wurde um 1427 angefangen von Hamann II. Echter, sein Vater Hamann I. Echter, Vicedominus in Aschaffenburg und Forstmeister im Spessart, hatte 1412 für seine Verdienste „die Wüstung und Hofstätte, genannt Espelborn“ als Lehen vom Mainzer Kurfürsten erhalten. Er errichtet 1419 dort ein zunächst unbefestigtes Weiherhaus. Die wüst gefallene Hofstätte war vorher wohl der Sitz eines kurmainzischen Forstverwalters gewesen, ähnlich wie das Schloss Mole unter Heimbuchenthal oder Herbroch oberhalb Krausenbachs.
Die erste schriftliche Erwähnung der Dörfer Hessenthal und Mespelbrunn (Neudorf) taugt leider nicht für eine „Geburtsurkunde“, weil die Datierung nicht ganz geklärt ist. Es ist eine Steuerliste etwa aus der Mitte des 13. Jahrhunderts. In dieser Liste steht Hessenthal an einer anderen Stelle als Mespelbrunn, welches als „nova villa“ (Neudorf) bei Heimbuchenthal verzeichnet ist. Neudorf war am Anfang nur eine Erweiterung von Heimbuchenthal bachaufwärts. Typisch für die Spessartdörfer ist die Einteilung der Gemarkungen in Streifengüter. Jede Familie bekam einen genügend breiten Streifen Land, der sich quer zum Tal von einer Hangseite hinauf bis zur Gemeindegrenze erstreckte. Eigenartigerweise ist das in Neudorf nur im südlichen Drittel so, bis zum „Langen Grund“, dann sind Mespelbrunner Güter nur noch links des Baches, auf der rechten, westlichen Talseite ziehen sich die Hessenthaler Güter den Hang hinauf. Hessenthal ist das einzige Streifengüterdorf, das nur auf einer Talseite gelegen ist. Diese Eigenart ist durch die Umstände bei der Dorfgründung zu erklären: Die Grafen von Rieneck und das Kurfürstentum Mainz wetteiferten im 13. Jahrhundert im Elsavatal um territorialen Einfluss, wobei die Rienecker am Ende unter Mainzer Druck auf weitere Neurodungen verzichten mussten. Das dürfte da gewesen sein, wo Neudorf („nova villa“) aufhörte, sich über beide Talseiten hinzuziehen. Der gemeinsame Bach „Elsava“ ist so zur Grenze zwischen zwei Gemeinden geworden, die anfangs verschiedenen Herrschaften gehörten. Das spiegelt sich auch im rechtlichen und kirchlichen Bereich wider: die Dörfer gehörten zu verschiedenen Centen und Dekananten: Neudorf war kirchliche Filiale von Heimbuchenthal im Dekanat Obernburg, Hessenthal war Kaplanei von Oberbessenbach im Dekanat Aschaffenburg Ost. Erst 1969 kamen beide Gemeinden in einer Pfarrei zusammen. Ein eigenes Gotteshaus konnten sich die Neudorfer erstmals 1929 leisten, schon 45 Jahre später wurde dann eine neue Kirche in Mespelbrunn erbaut. Es wurde die erste Kirche in Deutschland, die dem heiligen Pater Maximilian Kolbe geweiht ist. Die alte Kirche wurde zum Pfarrzentrum umfunktioniert und bildet mit dem gegenüberliegenden Haus des Gastes die kulturelle Mitte Mespelbrunns.
Der Ortsname Hessenthal leitet sich vom Haselnussbusch ab. Die Geschichte von Hessenthal ist zunächst einmal hauptsächlich Kirchengeschichte. Aus dem Jahr 1293 ist uns die bislang älteste Urkunde erhalten, mit der „die Kirche der glorreichen Jungfrau Maria in Hesilndal“ mit bischöflichen Ablassgnaden ausgestattet worden ist. Die Begründung der Hessenthaler Mutter-Gottes-Wallfahrt ist sicher auch mit politischer Absicht verbunden gewesen. Sie darf angesehen werden als die Antwort des Mainzer Kurfürstentums auf die Gründung des Klosters Himmelthal durch die Rienecker. Der religiöse Ursprung der Wallfahrt war eine Andachtsstätte an einer Kreuzung von überregionalem Verkehrsverbindungen oberhalb Hessenthals gewesen. Die Verlegung in die Siedlung Hessenthal wertete den Ort erheblich auf. Im Jahr 1439 ließen die Echter von Mespelbrunn in Hessenthal eine Kirche als ihre Begräbnisstätte errichten. Es ist die heutige alte Wallfahrtskirche. Parallel dazu wurde 1545 fast wie ein verkleinertes Abbild die sogenannte Gnadenkapelle an Stelle eines abgegangenen Vorgängerbaus erbaut und die Anlage mit einer Wehrmauer umgeben, so dass der Eindruck einer Kirchenburg entstand. 1954 erhielt die Hessenthaler Kirchenburg ihr heutiges Aussehen mit der Errichtung der großen Wallfahrtskirche. Dieser Baumaßnahme musste die Hochkreuzkapelle weichen. Die dort vorhandene Kreuzigungsgruppe von Backoffen wurde in den Neubau integriert. Im Laufe der Jahrhunderte sammelte sich in Hessenthal ein beachtlicher Schatz an Kunstwerken an: von Tilman Riemenschneider und seiner Werkstatt eine mehrfigurige Beweinungsgruppe (ca. 1485), von Hans Backoffen eine Kreuzigungsgruppe (1519), von Erhard Barg ein großes und ein kleineres Echterepitaph (1583) und vom Aschaffenburger Künstler Siegfried Rischar ein moderner Kreuzweg (1967). Die ausführliche Geschichte Hessenthals und seiner Wallfahrt ist in einem 1993 zum 700jährigen Jubiläum erschienen Geschichtsbuch dargestellt. Das Buch kann bei der Gemeinde erworben werden.
Das Schloss Mespelbrunn und die Kirchenburg in Hessenthal zählen zu den herausragenden Kulturgütern unserer Region. Die Kulturlandschaft um Mespelbrunn, das wie eine Insel in einem weiten Meer von Wald liegt, offenbart sich erst auf den zweiten Blick: tief eingeschnittene Hohlwege, tonnenschwere Lesesteinhaufen, mit Stützmauern terrassierte Steilhänge künden von der Mühsal, mit der die Menschen ihr tägliches Brot erkämpfen mussten. Eine große Anzahl von Bildstöcken und drei Kapellen in der Feldflur erinnern an die tiefe religiöse Verwurzelung der Vorfahren. Himmlischer Beistand war auch dringend nötig.
Von Notzeiten erfahren wir erstmals aus dem Dreißigjährigen Krieg. Drei Viertel der Bevölkerung unserer Dörfer und der umliegenden Ortschaften wurden durch Kriegsgeschehen, begleitende Seuchen und Hungersnöte dahingerafft. Als sich die Bevölkerungszahlen auch durch Neuansiedlung von Einwanderern erholt hatten, setzte eine andere unglückselige Entwicklung ein: die staatlich sanktionierte und somit gewollte Realteilung. Mit jeder Generation wurden die Güter unter den Erben aufgeteilt, sogar Häuser und Scheunen wurden halbiert und geviertelt. Am Beginn des 19. Jahrhunderts waren die Besitzverhältnisse so zersplittert, dass die Höfe ihre Besitzer kaum noch ernähren konnten. Um 1850 war der Spessart Notstandsgebiet geworden, zumal auch die Eisenhammerwerke der Rexroths in Heimbuchenthal und Hobbach mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu kämpfen begannen. Die arbeitsfähigen Männer zogen in die Fremde als Wanderarbeiter, bis Holland oder gar nach St. Petersburg. Die Familie sah sich nur zweimal im Jahr, die karge Landwirtschaft betrieben zu Hause die Frauen. Dieser Zustand hielt bis nach dem ersten Weltkrieg an. Erst allmählich entstanden vor Ort wieder Arbeitsplätze: Heimschneidereien, die der Bekleidungsindustrie von Aschaffenburg zuarbeiteten, Handwerksbetriebe des Baugewerbes und der allmählich einsetzende Tourismus. Der 2. Weltkrieg hinterließ auch in Mespelbrunn und Hessenthal Spuren. Die Gedenktafeln für die Gefallenen vor den Kirchen erinnern an die Opfer. Erst mit dem Wiederaufbau ging es auch in den Spessartdörfern aufwärts. Entscheidend war auch der Anschluss an die Autobahn A 3. Aus kleinen Gaststätten wurden Hotels, Privatpensionen wurden eingerichtet, Ferienwohnungen kamen hinzu. In den Zeiten des Wirtschaftswunders ab 1960 blühte Mespelbrunn zu einem bedeutenden Fremdenverkehrsort mit beachtlichen Übernachtungszahlen auf. Die kleinbäuerliche Landwirtschaft ist in Mespelbrunn fast ganz verschwunden. Heute arbeiten die meisten Menschen auswärts als Pendler im Rhein-Main-Gebiet oder im nahen Aschaffenburg.
Verfasser: Wolfgang Specht